Agenteneindrücke: Fade
Was fürchtest du am meisten? Ist es Zurückweisung? Einsamkeit? Verfolgen dich Zweifel und Unsicherheit in deinen Träumen? Findest du, dass du eigentlich gar nichts in Bronze zu suchen hast?
Wir alle kennen diese Ängste. Wir eignen sie uns in jungen Jahren an: Das Monster unter dem Bett, ein dunkler Korridor in der Nacht, Mama, die uns alleine an der Kasse zurücklässt. Wir alle haben diese Urängste erlebt und dieses gespenstische Kribbeln unter der Haut gespürt.
Jetzt haben diese Ängste auch einen Namen: Fade.
Die Kopfgeldjägerin
Ehe Fade zur Verkörperung der Angst wurde, selbst bevor sie überhaupt Fade war, bildete sie einfach nur eine Spielidee: Aufklärung.
„Als wir darüber berieten, was Agent 20 sein sollte, war uns von Anfang an klar, dass es jemand sein musste, der Sova Konkurrenz machen konnte. Er hat aktuell das Quasimonopol auf Aufklärungsaktionen in VALORANT und wir wollten einen weiteren Agenten mit ähnlichen Stärken im Spiel“, erklärt Game Designer Nick „Nickwu“ Smith.
Damit hatte Smith die simple Aufgabe, aus der Idee eine fantasievolle Spielfigur zu machen, die sich auf das Sammeln von Informationen verstand, sich aber trotzdem wesentlich von Sova unterschied.
Sova benötigt ein tiefes Verständnis der Funktionsweise von Karten. Er muss die besten Orte für die perfekten Schusspositionen für das Aufklärungsgeschoss kennen, um den Initiatoren und Duellanten im Team alle nötigen Informationen für ihren Vorstoß zu liefern, während er sich selbst im Hintergrund hält und ihre Flanken schützt. Er kümmert sich also um die Aufklärung aus der Ferne. Für das Design des neuen Agenten, der mit ihm konkurrieren sollte, entschied sich Smith für ein Aktionsset, dass aus nächster Nähe agieren konnte, um Sovas Reichweite zu kontern.
„Die Idee einer Kopfgeldjägerin kam sehr früh zustande, da diese Leute Informationen auf allen nur erdenklichen Wegen sammeln, um ihre Beute zur Strecke zu bringen. Sie gehen viel mehr auf Tuchfühlung und schießen nicht nur einen Pfeil aus größtmöglicher Entfernung, um dem Team Informationen zu liefern“, erklärt Smith.
„In meinem Kopf formierte sich die Vorstellung einer Jagd auf Wildtiere: Man muss sie aufspüren, sie in die Falle locken und sie dann erlegen.“ Er macht eine Pause und lacht. „Ich habe allerdings noch nie zuvor etwas gejagt. Ich habe keine Ahnung, wie das wirklich abläuft. Aber es geht hauptsächlich um das Gefühl ‚Ich weiß, wo du bist, ich werde dich festsetzen, und ich werde dich erlegen!‘, wenn man es mit Fade zu tun bekommt.“
Fades Spuren waren eine der ersten Spielmechaniken, die Smith erkundete. Das Ziel war es, die „Beute“ auf eine Weise zu verfolgen, die einen ganz dicht an sie heranbringt.
„Aufgrund der Spielabläufe in VALORANT musste Fades Jagdweise breiter aufgestellt sein. Sie sollte sich nicht einfach nur dem Gegner nähern“, erklärt er. „Wenn man nur einen Gegner jagen kann, bekommt man wirklich das Gefühl, ein Kopfgeldjäger zu sein. Vom Spielgesichtspunkt aus betrachtet heißt das aber, dass du kein wirklich brauchbarer Agent bist. Aus taktischer Sicht kannst du keinen großen Druck auf das Gegnerteam aufbauen, es sei denn, dass wir die Fähigkeit so stark machen, dass ein Kill deines Ziels so gut wie garantiert ist. Das würde zu einem grottigen Erlebnis für die Gegner führen.“
Die Lösung bestand darin, Fade die Spuren zu geben, die an jedem Gegner hafteten, der von ihren Fähigkeiten getroffen wurde. Zudem sollten die Gegner ihre eigene Spur auch sehen können.
Das gibt Fade die Möglichkeit, mit ihrer Beute zu spielen. Wird sie deiner Spur folgen oder der eines anderen Spielers? Wird sie die Information ihrem Team weitergeben? Oder wird sie dich völlig ignorieren, während du zitternd hinter der Ecke kauerst?
„Beim Testspielen des Kits stellten wir fest, dass die Person, die als Fade spielt, wirklich fühlt, dass sie Informationen sammelt, Leute aufspürt und jagt und sie dann basierend auf den Informationen erledigt“, schildert der Teamleiter für Agentenentwicklung, John „Riot MEMEMEMEME“ Goscicki. „Und wenn du der Gejagte bist, dann ist Fade eine angsteinflößende, beklemmende Gegnerin. Wir haben uns voll und ganz auf dieses Gefühl fokussiert, wenn man als oder gegen den Charakter spielt. Das führte uns zu einem düsteren, schaurigen Design.“
Wenn Albträume zur Realität werden
Für die Entwicklung neuer Agenten lässt sich das Team von vielen Dingen inspirieren, aber die Hauptquelle für spannende Ideen sind andere Menschen. Dieses universelle menschliche Erlebnis, das uns alle verbindet, egal, woran wir glauben, wer wir sind oder woher wir kommen. Aspekte wie Zufriedenheit, Hoffnung, Träume oder Ängste, Nöte, Albträume.
Eine Seite dieser Parallele löst aber stärkere Reaktionen in uns aus. Diese Seite ist in der aktuellen Agentenauswahl jedoch unterrepräsentiert.
Abgesehen von Omen und vielleicht noch Yoru und Reyna gibt es nicht so viele xX420edgel0rd69Xx-Agenten. Tatsächlich sind die meisten unserer Agenten ziemlich positiv eingestellt. Unter ihrer sarkastischen Hülle ist Neon sehr fürsorglich, Chamber ist sehr französisch, charmant und selbstgefällig und KAY/O ist ein absolut treu ergebener Roboter (solange du kein Radiant bist). Nachdem wir Fades erste Grundzüge erlebt hatten, war unserem Team klar, dass sie dieses Mal eine düstere Gestalt erschaffen würden.
„Die fixe Idee eines Kopfgeldjägers wurde zum zentralen Aspekt, als wir die Charakterentwicklung angingen. Wir wollten dieses Angstgefühl, das wir beim ersten Ausprobieren des Kits gespürt hatten, aufrechterhalten und verstärken. Diese Fantasie lag uns so kristallklar vor Augen, dass sich sämtliche narrativen Aspekte zur Agentin wie von selbst ergaben“, erinnert sich der Narrative Writer Ryan „Pwam“ Clements.
Clements und der leitende Narrative Writer Joe „ParmCheesy“ Killeen arbeiteten ein paar Ideen für Fades Fantasie aus. Eine davon stach besonders prägnant hervor: lebendig gewordene Albträume.
Albträume stellten eine interessante Gelegenheit für besondere Machtfantasien dar. Wir haben sie alle, sie lösen Urängste in uns aus und es wäre eine einzigartige Machtquelle in VALORANT.
„Die Art und Weise, wie wir die Albträume in Fades Aktionsset integrierten, war für uns nach den Spieltests und den Gefühlen, die wir dabei gespürt hatten, am sinnvollsten. Dieses beklemmende, angsteinflößende Gefühl, dass einen überkommt, wenn man von ihr markiert wird, wollten wir verstärken und es sollte sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Design ziehen“, erklärt Smith.
Um ihre einzigartige Machtquelle, die Albträume, und Fades provokantes Design zu unterstreichen, musste sie eine Farbpalette erhalten, die sich von den restlichen Agenten abhob.
„Der schwerste Teil bei der Übertragung eines neuen Agenten aus einem Konzept heraus besteht darin, einzigartige Farbpaletten zu finden. Alle Primärfarben werden bereits verwendet, weshalb wir Farbkombinationen finden müssen, die einzigartig und im Spiel leicht unterscheidbar sind“, erläutert Concept Artist Konstantin „Zoonoid“ Maystrenko. „Da wir entschieden hatten, Fade zu unserer guten Albtraumseele zu machen, wollten wir ihre Farben gedeckter halten und konzentrierten uns auf Grau- und Schwarztöne. Schwarz ist allerdings eine schwierige Farbe in einem wettkampforientierten Spiel, da es kaum Kontraste bietet und in Spielumgebungen schwer erkennbar ist.“
Abgesehen von Fades Farbpalette wollte Maystrenko Fade ein modernes, modisches Aussehen verpassen. Ideen konzentrierten sich rasch auf Urban-Fantasy. Ein Großteil des Fantasy-Genres konzentriert sich auf fantastische Reiche voller Feen, Elfen und Drachen. Es gibt kaum Repräsentationen von Charakteren, die mit so einer besonderen, mächtigen magischen Fähigkeit klarkommen müssen und die in einer Stadt aufwuchsen.
Also fragte er sich: „Wie würde sie sich verhalten? Wie sollte sie aussehen?“ Wie manifestieren sich ihre Albträumkräfte, um sie selbst zu repräsentieren?“
Als Maystrenko und Clements die Albtraumfantasie rund um Fade weiter konkretisierten, begann Smith damit, ihre Spielweise zu implementieren.
„Ich dachte darüber nach, wie man Urängste und Beklemmung im Spiel rüberbringen konnte, denn das war ja Fades Ding“, erinnert sich Smith. „Fades Aktionsset ist örtlich sehr gebunden und auf Tuchfühlung ausgelegt, aber ihr Ult „Einbruch der Nacht“ ist sehr breit gefächert. Mit ihm hat man es weniger auf individuelle Gegner abgesehen und er funktioniert eher wie ein Initiator-Standard-Ult, nicht ganz unähnlich wie der von Breach. Mit der Art, wie er die Spuren an Gegner anheftet und sie taub macht, ermöglicht er eine Reihe interessanter Spielweisen.“
Töne sind in VALORANT besonders wichtig. Man hört, wie sich Gegner umdrehen, rennen oder nachladen. Töne können dir helfen, dem Tod gerade noch mal von der Schippe zu springen, oder deinen Sieg zu garantieren. Wenn man den Gegner nicht hört, hat man einen taktischen Nachteil, und genau das war der perfekte Aspekt, um Fades Aktionsset noch beängstigender zu machen.
„Bei vielen anderen Ults kann man trotzdem noch sagen, ob die Gegner auf dich zugestürmt kommen, denn sie machen viele Geräusche. Aber wenn man plötzlich nichts mehr hört, dann ... Tja, keine Ahnung, was dann kommt“, sagt Smith. „Und zu allem Überfluss hat Fade auch noch deine Spur und weiß, wo du bist. Das sorgt für ein echt beklemmendes Gefühl. Mit der Beklemmung und Angst ergeben sich Möglichkeiten, die Fehler begünstigen. Das macht sie einzigartig in der gesamten Agentenauswahl.
Alle müssen essen
„Mit VALORANT verfolgen wir das Ziel, ein uneingeschränkt globales Erlebnis zu bieten. Die Welt steckt voller interessanter und unglaublicher Leute und die Fülle an kreativen Ideen, Geschichten und Inspiration aus verschiedensten Ländern ist nahezu unerschöpflich“, erklärt Goscicki. „In der Türkei spielen viele Leute VALORANT – verdammt viele Leute. Als wir uns entschiedenen, einen weiteren Aufklärungsagenten zu entwerfen, sahen wir auch das Potenzial, einen Charakter zu erschaffen, mit dem sich unsere türkische Spielergemeinde vielleicht identifizieren kann.“
An Fade gibt es viele Dinge, die einem beim ersten Anblick direkt als türkische Eigenheiten auffallen. Das „nazar boncuğu“ ist ein Symbol, das man häufig im Mittelmeerraum antrifft und das den Bösen Blick abwenden soll – ein Fluch, den man durch einen übelwollenden Blick erhält. Diesen Designaspekt sieht man überall an Fade: bei ihren Talismanen, ihrer Kleidung bis hin zu den Ringen, die sie trägt.
Es gab aber auch einige überraschende Dinge in der türkischen Kultur, von denen das Team anfangs nichts wusste.
In der türkischen Kultur wird Henna mit einem Opfer gleichgesetzt: Man opfert sein einziges Leben, um in die Familie des Ehepartners einzutreten; man opfert sein Leben, um dem Militär beizutreten; oder auch das Opfer eines Tiers, um Essen zu haben. Fade kennt sich mit Opfern bestens aus. Sie muss mit den dunkelsten Ängsten und den abscheulichsten Gedanken der Menschen klarkommen, um ihre albtraumhaften Kräfte einsetzen zu können, während sie ihren eigenen Verstand und ihr Wohlergehen opfert.
„Viele unserer Agenten haben Tatoos. Das ist kein wirkliches Meme unter den Spielern, aber sehr wohl unter uns Konzeptzeichnern“, gibt Maystrenko lachend zu. „VALORANT nutzt die First-Person-Sicht, weshalb wir sehr kreativ sein müssen, um unseren Spielern die Einzigartigkeit der Charaktere vor Augen zu führen. Tatoos und Hautmarkierungen sind die deutlichsten und einfachsten Mittel dafür. Als wir erfuhren, dass Henna in der modernen Türkei sehr beliebt und geläufig ist, war das die erste Wahl für uns.“
„Die Türkei ist Fades Heimatland und das hat sich als richtiger Glücksfall erwiesen, denn wir haben bei der Ausarbeitung der verschiedenen Charakterelemente viele kulturelle Anspielungen bemerkt“, sagt Clements. „Wir arbeiteten eng mit den Riotern in unserer Niederlassung in der Türkei zusammen, die uns genauestens über den tiefen, profunden Respekt der türkischen Kultur und des Aberglaubens gegenüber Träumen aufgeklärt haben. Traumdeutung und Traumsehen sind sehr alte kulturelle Praktiken in der Türkei und passen perfekt zur Kopfgeldjägerin Fade, die Albträume als ihre Waffen nutzt.
Damit wollen wir aber nicht andeuten, dass jetzt jeder türkische Spieler eine edgy Goth-Lady ist, die über und über mit Henna bedeckt ist, und in Istanbuls Unterwelt Kriminelle jagt. Vielleicht bist du stattdessen eher eine Katzennärrin.
„Istanbul ist die Welthauptstadt der Katzen. Die kulturelle Prägung auf Katzen gibt es aber nicht nur in der Türkei. Es ist ein universeller kultureller Aspekt. Alle lieben Katzen!“ Maystrenko lacht. „Wir wollten in ihrem Aussehen ein paar Andeutungen zu diesem Aspekt ihres Lebens einbauen, ohne es zu übertreiben, damit sie nicht als Katzenagentin veralbert würde.“
„Wir wollten das Wesen aus Dingen erschaffen, die sie liebt und sieht“, erklärt er weiter. „Ihre Albträume verschmelzen mit ungefährlichen Dingen im realen Leben, aber in ihren Albträumen kann alles zu einer potenziell tödlichen Waffe werden. Wir haben versucht, das abstrakt umzusetzen, damit es nicht gleich so auffällt. Auf den ersten Blick sieht es wie eine Kreatur aus der Hölle aus, aber in Wirklichkeit sind es nur zwei Katzen.“
All diese Dinge fügten sich in ihren visuellen Effekten zu einem schönen, harmonischen Ganzen zusammen.
„Ich habe viel über die visuellen Effekte von Fades Ult nachgedacht und wie ich darin sie und ihre Wurzeln am besten verdeutlichen könnte. Ein erster Versuch bestand aus Hennamustern, aber das sah nicht sonderlich gut aus. Es hatte etwas Altmodisches an sich und erinnerte eher an eine alte Tapete“, erklärt der VFX-Künstler Guillermo „Giggy“ la O’. „In den Effekten sieht man Nazare. Man sieht total viele Augen, wovon einige aber Fade selbst sind. Ihre Nachtschatten-Katze ist auch mit darunter. All diese Aspekte habe ich mit einem fließenden Hennamuster verbunden, damit es nicht ganz so krass und vielmehr etwas sanfter wirkt.“
Wenn das noch nicht genug Katzen für dich sind, dann sieh dir mal ihre Stiefelsohlen an. Das Profil besteht aus Katzenpfötchen.
Dann wäre da noch ihre albtraumhafte Goth-Pracht. Fade. Hartnäckig, kurz angebunden, heimgesucht. Man könnte echt leicht auf den Gedanken kommen, eine Kopfgeldjägerin, die solche schaurigen, furchteinflößenden Mächte beherrscht, hätte nichts Gutes im Sinn. Aber ist das wirklich der Fall?
„Wenn die Leute Fade sehen und mich fragen, ob sie böse ist, beleidigt mich die Frage schon“, sagt Goscicki lächelnd. „In meiner Jugend war ich in der etwas extremeren Untergrundmusikszene aktiv und ich begegne oft dem Vorurteil, dass die Leute da grobe, schäbige, einschüchternde Arschlöcher sind. Aber wenn man direkt in der Szene involviert ist, dann erkennt man, dass das alles nur lustige, drollige Komiker sind. Sie haben sich nur entschieden, sich der gesellschaftlichen Norm widersprechend auszudrücken. Ich finde, Fade ist das perfekte Beispiel dafür, dass der erste Eindruck über den wahren Charakter einer Person täuschen kann. Ich hoffe inständig, dass unsere Spiele die andere Seite von Fade auch erkennen.“