Unsere Herangehensweise an die Spielbalance

David Cole, der Designer der Fortschrittssysteme, gewährt dir Einblicke in die Balancing-Vorgänge von VALORANT.

Hey, hier ist David „Milkcow“ Cole, einer der Game Designer von VALORANT. Wir haben ein Spiel veröffentlicht! Unser Spiel ist online! Und da es jetzt online und für Spieler wie dich zugänglich ist, haben wir die Verantwortung, uns um das Spielvergnügen und damit natürlich auch um die Spielbalance zu kümmern.

Schon seit unserer Alpha gibt es eine Reihe von Content Designern, QA- und Statistikmitarbeitern, die an den Grundlagen der Spielbalance gearbeitet haben, um uns bis zur Veröffentlichung von VALORANT ein grobes Verständnis dafür zu verschaffen, was gut ist, was zu stark ist, was zu schwach ist und so weiter. Hoffentlich bringt dieser Artikel etwas Licht ins Dunkel, wenn es darum geht, wie wir die Spielbalance anpacken und wo wir am Ende hin möchten.

WIE PASST MAN DIE SPIELBALANCE AN – UND WIE EHER NICHT?

Die Spielbalance bekommt jeder Spieler direkt zu spüren, also hat auch jeder eine mehr oder weniger starke Meinung darüber. Das, was du in deinen Matches erlebst, formt deine Wahrnehmung vom Spiel – und diese Wahrnehmung ist deine Wahrheit. Unser Job ist es, dass die Spielerfahrung für jeden Spieler fair ist. Das ist so weit klar, oder? Dann sehen wir uns mal an, was wir tun können und was nicht:

  • Für uns haben die Zielgruppen Priorität, die das Spiel unserer Meinung nach aktuell in die richtige Richtung bringen. Wir müssen Kompromisse eingehen, wenn es darum geht, für welche Zielgruppe wir das Spiel ausrichten.
  • Nicht jeder Spieler wird mit unseren Änderungen zufrieden sein. Manchmal müssen wir Änderungen vornehmen (oder sein lassen), obwohl das nicht dem Willen unserer Spieler entspricht.
  • Wir verlassen uns auf menschliches Urteilsvermögen, um den Spieldaten einen Kontext zu geben. Wir setzen nicht komplett auf Daten.
  • Wir wollen keine perfekt ausgeglichene 50:50-Spielbalance. Wenn alles durchweg 50:50 ist, dann werden die Entscheidungen pro Spielsitzung weniger bedeutsam. Man könnte sagen, sie werden roboterhaft und laufen immer nach Schema F ab. Das menschliche Element, nämlich das Treffen von Entscheidungen, bietet Spielern die Möglichkeit, ihre Optionen abzuwägen.

    Wir halten uns immer an unsere Richtprinzipien, die wir „den Taktik-Kreislauf“ nennen. Das Spiel muss sich IMMER an die Grundlagen dieses Taktik-Kreislaufs halten, wenn es gut ausbalanciert sein soll.

    Balance_Tac_Cycle_2_REV-ger.jpg

    So sieht der Kreislauf kurz und knapp aus: Infos → Planen → Ausführen → Wiederholen.

    • Infos
      • Wer und wo sind die Gegner?
      • Was ist bisher im Spiel geschehen?
      • Welchen Bereich der Karte kontrollieren wir? Welchen die Gegner?
      • Welche Agenten, Fähigkeiten und Waffen sind im Spiel?
      • Was haben die Gegner bis jetzt unternommen?
    • Planen
      • Wie sieht mein Plan aus, nachdem ich Informationen erspäht habe?
    • Ausführung
      • Timing
        • Koordination, um den Plan umzusetzen
      • Fähigkeiten
        • Risiken des Plans verringern (sehr wichtig)
      • Schießen
        • Klick auf die Köpfe, um Gefechte zu gewinnen.

    VALORANT ist ein Spiel, in dem jede Entscheidung dieses Kreislaufs wichtig ist. Du bist dir im Klaren darüber, welche Entscheidungen du getroffen hast und wie das gelaufen ist. Du kannst alle wichtigen Infos und den perfekten Plan haben, aber am Ende nicht geschickt genug sein, um alles umzusetzen. Du kannst gar keinen Plan haben und trotzdem gewinnen, weil du so geschickt mit deinen Fähigkeiten und Waffen bist, dass du das Unmögliche möglich machst. Dein Können zählt.

    Es ist wichtig, dass dieser Kreislauf von jedem Spieler auf jedem Spielniveau durchlaufen wird. Das beginnt schon dann, wenn du ein Match gefunden hast und dir die Karte gezeigt wird. Welchen Charakter wählst du für deine Teamzusammenstellung? Greifst du an oder verteidigst du? Und später dann: Du bist allein bei Areal B und zwei Gegner kommen. Was nun?

    AUF DEM SPIELBALANCE-RADAR

    Unser Team hat die letzten sechs Monate an einem Prozess gearbeitet, der uns dabei hilft, Entscheidungen zu treffen und Informationen zu sammeln. Er soll so etwas wie unser Spielbalance-Radar sein. Dafür brauchen wir einen Vorgang, der verschiedenste Informationen berücksichtigen kann.

    Balance-inputs-process-ger.jpg

    Unser Spielbalance-Team hat drei hauptsächliche Informationsquellen, welche die Grundlage für unsere Entscheidungen bilden. Jede davon ist unglaublich wichtig, um zu erkennen, ob der aktuelle Zustand des Spiels gut ist oder ob wir eingreifen und alles wieder in die Spur bringen müssen.

    • Spieldaten: Diese Daten sagen uns, was beim aktuellen Patch im Spiel vor sich geht, und umfassen Match-Siegesraten, Siegesraten der Angreifer/Verteidiger pro Runde, Spielrate der Agenten, Kaufrate der Waffen etc. Dadurch entsteht für uns ein klares Bild, das wir als Entscheidungsgrundlage nutzen können.

    • Stimmungsdaten: Zwar ist uns sehr wichtig, dass VALORANT ein gut ausbalanciertes Spiel ist, aber gleichzeitig wollen wir natürlich auch, dass unsere Spieler insgesamt Spaß haben. Um unsere Ziele dahingehend im Blick zu behalten, schicken wir Spielern regelmäßig Umfragen, die uns verraten, wie sie über den aktuellen Zustand des Spiels denken, was sie unterhaltsam finden, was frustrierend ist etc. Auf dieser Basis können wir nicht nur die oben genannten Spieldaten besser deuten, sondern auch herausfinden, ob es Probleme beim Spielerlebnis gibt, die in diesen Daten gar nicht dargestellt werden.

    • Design-Philosophie: Zu guter Letzt bedient sich das Balance-Team seiner eigenen Design-Philosophie, wenn es darum geht, das Spiel in die – unserer Meinung nach – richtige Richtung zu lenken. Man könnte es so sagen: Die Spiel- und Stimmungsdaten helfen uns, zu verstehen, wo sich das Spiel mit dem aktuellen Patch befindet und was unsere Spieler davon halten, wohingegen unsere Design-Philosophie uns verrät, was wir über den aktuellen Zustand des Spiels denken. Schließlich legt sie unsere Ziele fest.

      Während unserer Zeit als Balance-Team haben wir aus der Kombination von Spieldaten, Stimmungsdaten und unserer Design-Philosophie Abgrenzungen festgelegt. Du kannst sie dir wie wortwörtliche Grenzen vorstellen. Solange sich unsere Daten innerhalb dieser Grenzen bewegen, steht es gut um das Spiel. Sollte aber ein Wert ausreißen, dann ist das für uns eine Warnflagge, die wir uns näher ansehen. Wir sind noch nicht so weit, die konkreten Zahlen dieser Grenzen zu veröffentlichen, aber der Graph unten zeigt in einem erfundenen Beispiel, wie wir Grenzen bei verschiedenen Arten von Inhalten einsetzen.

      Bitte denk daran, dass das nur Beispiele sind. Es handelt sich nicht um echte Werte!

      WARNUNGEN

      Agenten insgesamt

      Agenten nach Karte

      Agenten nach Seite

      Siegesrate der Startseite

      Siegesrate der Rundenseite

      Obere Grenze

      „Sage ist komplett kaputt“

      „Raze ist auf Split zu stark“

      „Cypher verteidigt zu gut“

      „Wenn ich auf Split als Angreifer starte, stehen meine Siegchancen besser“

      „Auf Split haben Verteidiger einen zu großen Vorteil“

      Untere Grenze

      „Viper ist Müll“

      „Jett ist auf Bind echt mies“

      „Cypher kann beim Angreifen gar nichts“

      Waffen. Wo soll ich nur anfangen? Waffen sind im Kontext des Spiels unfassbar komplex. Die Daten allein verraten längst nicht alles über ihre Auswirkung auf das Spielgeschehen und wir arbeiten immer noch daran, wie wir sie am besten erfassen können.

      Ein weiterer Teil dieses Prozesses ist es, unsere Änderungen und die Gründe für diese Änderungen in den Patchnotes zu kommunizieren:

      Und zu guter Letzt sind wir selbst Teil des Ökosystems. Zu unserem Team gehören auch Leute, die das Spiel auf hohem Niveau spielen, bei Schlüsselfiguren der Szene Feedback einholen und ständig jede Rückmeldung lesen, die wir irgendwo einholen können.

      FALLSTUDIE: RAZE

      Hier ist ein Beispiel dafür, wie alles Genannte zusammenkommt: Raze wurde veröffentlicht und war im Vergleich mit anderen Agenten zu stark. Viele Spieler haben sich deutlich vernehmbar darüber geäußert, was sie von ihr halten.

      Das Team hat die obigen Schritte wie folgt angewendet, um schließlich in Patch .47+ Änderungen an Raze vorzunehmen.

      1. 1. Excal, Morello und der Rest des Balance-Teams waren sich einig, dass Raze voll und ganz dem Taktik-Kreislauf entspricht und nicht aus der Reihe tanzt. Tatsächlich gehörten ihre Fähigkeiten zu den ersten, die in diesem Projekt entstanden waren. Sie hat dabei geholfen, den Kreislauf überhaupt zu formen.
      2. 2. Wir haben uns sofort die Daten angesehen. Sie hatte hohe Match-Siegesraten von ungefähr 51 % und 53,5 %, wenn unter den Gegnern keine Raze war. Sie brillierte vor allem als Verteidigerin, wenn die Gegner ihre Position als Gruppe stürmen wollten. Das hat keins der Warnzeichen ausgelöst, die wir in der geschlossenen Beta festgelegt hatten. Uns wurde schnell klar, dass die Messlatte für zu stark und zu schwach in unserem Spiel nicht auf 1 %-Schritten, sondern auf 0,1 %-Schritten basieren musste. Wir haben die Zügel etwas fester in die Hand genommen, als intern auch Gespräche aufkamen, dass Raze im Vergleich zu den anderen Agenten zu stark wäre.
      3. 3. Wir haben uns die Stimmung unter den Spielern angesehen. Streams, Umfragen, Anekdoten, Foren – alles, was wir irgendwie finden konnten. Es gab jede Menge Frustration darüber, von einer Rakete oder Granate gesprengt zu werden. Als wir aber genauer hingesehen haben, wurde uns klar, dass Spieler einfach nicht auf die Audiosignale ihrer Fähigkeiten reagierten. Es fiel ihnen schwer, zu verstehen, was da eigentlich passierte; sie wussten nur, dass sie jetzt tot waren.
      4. 4. Excal hat auf Basis der erhaltenen Informationen eine Analyse verfasst und einige Änderungen vorgeschlagen:
        • a. Dass sie zwei Granaten hintereinander werfen konnte, erzeugte für Gegenspieler, die vordringen wollten, zu viel Druck. Raze-Spieler erzielten viele Kills, was wiederum dazu führte, dass sie ihre Ult öfter einsetzen konnte.
        • b. Spieler reagierten nicht auf die Signale ihrer Fähigkeiten, die dazu gedacht waren, Kontermöglichkeiten zu eröffnen, was für noch mehr Frustration sorgte.
      5. 5. Wir nahmen Änderungen vor und testeten sie intern.
        • a. Raze hatte dann nur noch eine Granate, die bei einem Kill zurückgesetzt wurde. Dadurch liefen Gegner nicht mehr so oft nichtsahnend in eine Explosion hinein, aber Raze-Spieler konnten nach wie vor regelmäßig irgendwas hochjagen. Diese Änderung bewährte sich und passte perfekt in ihre Kernidentität: Töte deine Gegner.
        • b. Die Audiosignale, wenn sie ihre Raketen ausrüstete und abfeuerte, wurden drastisch verändert, um den Gegenspielern zweifelsfrei klarzumachen, dass sie das Gebiet räumen müssen.
      6. 6. Wir haben diese Änderungen in den Patchnotes mit etwas mehr Kontext ausgeführt.
        • a. Danach haben wir uns angesehen, wie die Spieler auf die Patchnotes reagierten. Ihnen gefiel die Richtung, die wir mit Raze einschlagen wollten, aber insgesamt waren sie noch skeptisch. Die Siegesrate von Raze fiel direkt ab, aber nicht zu stark. Und was die Stimmung anging, wehte auch ein anderer Wind. Die Spieler fanden, dass sie jetzt besser ausbalanciert war.
        • b. In späteren Patches nahmen wir Änderungen in derselben Richtung vor, die wir in .47+ ausprobiert hatten.

      Es gab unzählige verschiedene Variationen der Faktoren, die wir oben angesprochen haben, bis wir sie auf den heutigen Stand gebracht hatten. Wir werden weiterhin an unserer Vorgehensweise arbeiten, während wir immer besser im Blick haben, wie du VALORANT spielst.

      Danke, dass du dir meinen kleinen Dave-Talk durchgelesen hast. Falls er dir gefallen hat, kannst du dich darauf freuen, dass in Zukunft mehr kommen werden!